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Messerstich in Kieler “Mausefalle” – Staatsanwalt wehrt vorzeitiges Prozess-Ende ab

Der nachstehende Artikel ist Dank der Prozessdokumentation von kiel211.de entstanden. Das Original des Artikels finden Sie hier.

 

 

Rund zweieinhalb Jahre nach einem lebensbedrohlichen Messerstich auf ein Mitglied der Rocker-Gruppierung “Hells Angels” in der Kieler Diskothek “Mausefalle” hat am Freitag der zweimalig verschobene Prozess gegen den 33-jährigen Ralf D. begonnen, den die Polizei zunächst der rechten Szene und mittlerweile auch dem in Schleswig-Holstein neugegründeten Chapter der mit den “Hells Angels” verfeindeten Rocker-Vereinigung Bandidos zurechnet. Ihm werden in zwei, in diesem Verfahren verbundenen, Anklagen eine gefährliche Körperverletzung sowie zwei Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen.

Erneut stößt die deutsche Justiz, wie vielfach in Verfahren mit Beteiligten aus dem Milieu, an seine Grenzen: Während sich der Angeklagte noch auf sein gutes strafprozessuales Recht berufen kann, sich nicht zur Sache einzulassen, versuchten sich die für diesen Tag vorgeladenen Zeugen, durch Erinnerungslücken um ihre Zeugenpflichten zu vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussagen herumzuwinden, nachdem sie bei ihren polizeilichen Vernehmungen noch detailreiche Angaben hatten machen können. Das mehr oder weniger subtil vorgetragene, sachaufklärungsfeindliche Verhalten prüft dabei die Geduld der Prozessbeteiligten in gleichem Maße, wie das Verständnis des Zuschauers von einem rechtstaatlichen Verfahren, das mit seinen Prozessregeln dafür sorgt, dass Zeugen die Sanktionierung von Straftaten nur zu leicht aushebeln können.  Die Frage, ob diese möglicherweise im Vorwege beeinflußt worden sind, kann zumindest insoweit dahinstehen, als selbst das Opfer in Verfolgung eines Ehrenkodexes der “Hells Angels” nichts zum Verfahren beizutragen hatte. So kam es, dass sich der zuständige Staatsanwalt im Laufe des ersten Verhandlungstages zweimal gegen eine vom Gericht ins Spiel gebrachte mögliche Einstellung des Verfahrens stemmen musste, nachdem sich die Prozessbeteiligten zur Erörterung der Rechtslage ins Richterzimmer zurückgezogen hatten.

 

Anklage

Zu Beginn des Tages hatte Staatsanwalt Michael Bimler dem 33-jährigen Angeklagten zunächst eine gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten begangene, mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung vorgenommene gefährliche Körpvererletzung vorgeworfen. Der Angeklagte habe sich zusammen mit seinem Bruder André D. in den frühen Morgenstunden des 3. März 2007 in der Kieler Diskothek “Mausefalle” aufgehalten, wo letzterer mit dem späteren Opfer Dennis K. in Streit geraten sei. Dieser habe André D. daraufhin einen Faustschlag ins Gesicht versetzt, der zu einer Fraktur des Gesichtsmittelknochens sowie des Kieferknochens führte. Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass sich der Angeklagte nunmehr in der Absicht, den Kontrahenten hierfür zu Rechenschaft zu ziehen, zusammen mit zwei Personen um Dennis K. gruppierte, ihm drohte, dass dieser „diesmal nicht so davonkommen“ werde und im Zuge einer folgenden tätlichen Auseinandersetzung ein mitgeführtes Messer zog und dieses dem Opfer mit Wucht in dessen Flanke stieß. Dadurch erlitt der Geschädigte eine Durchstechung der Leber, die operative Notfallversorgung und intensivmedizinische Betreuung erforderte, weil ein lebensbedrohlicher Blutverlust eingetreten war. Zudem erlitt das Opfer Schnittverletzungen am rechten Oberarm.

Der zweite Tatvorwurf des zweifachen Verstoßes gegen das Waffengesetzes rührt aus einem Sachverhalt im Mai 2007 her, bei dem der Angeklagte bei einer Polizeikontrolle im Besitz einer halbautomatischen, 15-schüssigen Handfeuerwaffe der Marke Glock mit einem Kaliber 9mm angetroffen wurde, die er zusammen mit Munition in einer Bauchtasche bei sich trug.

 

Angeklagter schweigt

Verteidiger Philipp Marquort erklärte im Namen seines Mandanten, dass dieser keine Angaben zur Sache machen werde. Neben dem erstgenannten Rechtsanwalt wird der Angeklagte auch durch Christian Bangert vertreten, der bereits an der Verteidigung eines mit dem Angeklagten befreundeten Neo-Nazis beteiligt war, der zu Beginn diesen Jahres wegen erneuter Messerstiche gegen Dennis K. und eine weitere Person im Verlauf einer Massenschlägerei vor dem Amtsgericht Kiel in dubio pro reo freigesprochen worden war, weil das Landgericht Kiel eine mögliche Notwehrsituation nicht auszuschließen vermochte. Die Massenschlägerei zwischen Rechten und Hells Angels hatte zu der ersten Verschiebung des Prozessauftaktes in diesem Verfahren geführt.

Kein falsches Wort zuviel von der ehemaligen Freundin des Opfers

Während das Opfer – der künftig in einem Sat.1-Magazin als regelmäßiger Tattoo-Experte auftretende Dennis K. – zwar als Nebenkläger zum Verfahren zugelassen – der Konfrontation mit dem Angeklagten durch Nichterscheinen auswich, konnte sich seine damalige, während der Tat in unmittelbarer Nähe befindliche, Freundin ihrer Zeugenaussage nicht entziehen. Gut auf die Vernehmung vorbereitet und in Begleitung eines Rechtsanwaltes als Zeugenbeistand, machte die 22-jährige N aber zeitweise den Eindruck, kein falsches Wort zuviel preisgeben zu wollen, in entscheidenden Aussagen eher vage oder widersprüchlich zu bleiben und abzuwägen, an welcher Stelle sie sich auf Erinnerungslücken zurückziehen konnte. Während der vorsitzende Richter zunächst äußerst einfühlsam auf die Schaffung einer freundlichen Vernehmungsatmosphäre bedacht war, sah er sich schließlich doch genötigt, die Zeugin zu fragen, ob sie vor dem Prozess unter Druck gesetzt oder beeinflußt worden sei, was sie verneinte.

Zu ihrem Verhältnis zu Dennis K. befragt, erklärte sie “Ich fühlte mich verlobt”. Beide hatten sich am Heiligabend 2006 die Heirat versprochen, obwohl er sich noch in einer Ehe befunden habe. Das dadurch das Verlöbnis zivilrechtlich unwirksam war, sei ihr aber nicht bewußt gewesen. Später habe man sich getrennt.

Zur Tat befragt, gab die zahnmedizinische Fachangestellte an, seit dem späten Abend des 2.März 2007 mit Dennis K. in der Diskothek “Mausefalle” gewesen zu sein, wo man sich mit Freunden verabredet, “ganz entspannt” gefeiert und getrunken habe, dabei aber nicht ständig an der Seite ihres Freundes gewesen sei. Am frühen Morgen des nächsten Tages habe man sich schließlich gemeinsam zur Garderobe begeben und sei von einer Person am Verlassen der Disko gehindert worden, die sich vor Dennis K. aufgestellt, ihn provoziert, beleidigt und geschubst habe. Ihr damalige Freund versetzte diesem schließlich mit der linken Faust einen Schlag ins Gesicht, so dass dieser anfing zu bluten, sich zur Seite drehte und das Gesicht hielt. “Dennis hat dann den Fehler gemacht, diese Person zu schlagen” hatte die Zeugin bei ihrer polizeilichen Vernehmung ausgesagt. Ob es sich dabei um Ralf D. oder seinen Bruder André D. handelte, konnte sie ebensowenig beantworten, wie die Frage nach dem Wortlaut der Provokationen. Sie erklärte, es wegen der Musik akustisch nicht verstanden, aber an Gesichtsausdruck und Körperhaltung der Person erkannt zu haben. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung war noch protokolliert worden, dass der Satz “Na du kleine Muschi, was willst du?” gefallen sei. An diese Protokollierung vermochte sich N aber ebensowenig erinnern, wie daran, etwas entsprechendes gehört zu haben. Auch das aus Reihen der Angreifer die Worte “So kommst du diesmal nicht davon!” zu vernehmen gewesen sei, konnte die Zeugin nicht bestätigen. “Die Verletzungen sind aber nicht aus Versehen passiert, das war beabsichtigt!” stellte sie klar.

Dennis K. sei dann augenblicklich von drei Personen, dem Angeklagten und zwei weiteren Männern zusammengeschlagen worden, die “auf einmal da” waren. Alle drei Angreifer hätten dabei gleichermaßen mit Fäusten und Fußtritten auf Gesicht und Oberkörper ihres Freundes eingewirkt, der leicht nach vorne gebeugt gestanden, die Hände schützend über den Kopf und das Gesicht gehalten habe. Dann hielt “irgendjemand” “etwas” in der Hand. Mit diesem Gegenstand sei dann auch auf Dennis K. eingewirkt worden, wie häufig könne sie aber nicht sagen, erklärte N. Keiner sei ihm dabei zu Hilfe gekommen.

Die Angreifer seien dann “alle gleichzeitig” schnell wieder durch den Eingangsbereich der Diskothek ins CAP geflohen. Der sichtbar am Arm verletzte Dennis K. sei ihnen zunächst hinterher: “Ich wollte, dass er stehen bleibt, zur Ruhe kommt, wollte ihn festhalten.” Er blieb schließlich in der Vorhalle des CAP stehen und schrie ihnen nach “Kommt zurück ihr F…en, wir sind noch nicht fertig!” Als er sich wieder zu ihr umgedreht habe, schien er nicht verstanden oder mitbekommen zu haben, was ihm passiert sei. “Dann habe ich gesehen, wie er mich komisch anguckte.” Schließlich habe sie gemerkt, dass Dennis K. aus einer Wunde an den Rippen sehr viel Blut verlor, das die Hose durchtränkte. Sie habe ihm schließlich ein Handtuch aus der “Mausefalle” geholt und seine Wunde abgedrückt “so fest, wie ich konnte”. Er sei getaumelt, benommen gewesen und habe ihr bedeutet stehen bleiben zu wollen, sei dann aber zusammengebrochen.

Entschieden widersprach die Zeugin dem Vorhalt, sie habe sich noch im Krankenhaus gegenüber der Polizei geäußert. Ein entsprechendes Protokoll stimme so nicht. Sie sei von einer Beamtin zur Seite genommen worden, habe dieser aber erklärt, sie möchte nichts sagen. Diese habe dennoch1 angefangen, Fragen zustellen, die mit den Worten “Es war doch so, dass…” begannen.

In deutlich defensiverer Aussagebereitschaft beschied die Zeugin schließlich die Fragen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, beantwortete an sie gerichtete Fragen mehrfach mit Nichtwissen, bestritt an sie gerichtete Vorhalte und widersprach ihren eigenen Aussagen bei ihren polizeilichen Vernehmungen. Dies führte schließlich dazu, dass die Verteidigung die Vereidigung der Zeugin beantragte. Doch auch in Ansehung der Eidesleistung hatte die junge Frau ihren Ausführungen nichts hinzuzufügen.

Gegenüber dem Staatsanwalt erklärte N, sie wisse nichts davon, dass Dennis K. im Laufe des Abends und schon vor der Schlägerei im Eingangsbereich eine Auseinandersetzung mit den Angreifern gehabt habe. Das die Türsteher nicht eingegriffen hätten, kommentierte die 22-jährige mit den Worten ” Für 6 Euro die Stunde würde ich mich auch nicht vor ein Messer schmeißen!” Sie habe die Angreifer zunächst nur nach der Statur auseinanderhalten können, da sie zum Tatzeitpunkt ihre Namen nicht gekannt habe. Diese, glaubte sie, später von Dennis K. erfahren zu haben. Ein großgewachsener Mann habe ihren Freund provoziert. Ob ihr Freund ihr nachträglich den Hintergrund der Sache erklärt habe, wollte die Zeugin auch nicht mehr wissen.

Gegenüber den beiden Verteidigern verneinte sie zunächst, auch geschäftlich, d.h. als Geschäftsführerin eines Tätowierstudios in Neumünster, mit Dennis K. verbunden gewesen zu sein. Auf die Frage, ob sie etwas dazu zu erzählen habe, dass Dennis K. Mitglied der “Hells Angels” sei, antwortete sie mit “Nein!”, musste auf Nachfrage, ob er denn Clubmitglied sei, aber einräumen, dass dies ihres Wissens so sei. Widersprüche ergaben sich schließlich bei der Frage, ob die Zeugin die ganze Zeit bei der Auseinandersetzung daneben gestanden habe. Sie verneinte, dass jemand sie von der Szene wegzuziehen versuchte.

N bestätigte schließlich einen Vermerk der ermittelnden Kriminalbeamten, nach dem die Beamten das Opfer kurz nach der Not-OP für einen Vernehmungsversuch aufgesucht hatten, aber keine Antwort erhielten, da sich Dennis K. darauf zurückzog, aufgrund des Ehrenkodexes der “Hells Angels” keine Angaben gegenüber der Polizei zu machen. Er sei lediglich gestürzt und habe sich dabei die Verletzungen zugezogen. Sie sei erst dazugekommen, als die Beamten das Gespräch bereits beendet hätten, habe aber von ihrem verletzten Freund selbst erfahren, was er den Beamten gesagt hatte. Dagegen bestritt N im Zeugenstand den Vorhalt einer Aussage eines Krankenpfleges, dass Dennis K. und N im Krankenhaus ”schon über Tage diverse Informationen über den Tatverlauf” ausgetauscht hätten.

Darüber hinaus erklärte die frühere Freundin des Opfers weder gesehen zu haben, dass im Zuge der tätlichen Auseinandersetzung eine Glasflasche zerschlagen und als Waffe eingesetzt worden sei, noch dass Dennis K. vor der Schlägerei seine Uhr abgenommen habe. Zudem bestritt sie entschieden, dass es sich bei dem Kampf um eine 1-zu-1-Situation gehandelt habe, wie drei Zeugen übereinstimmend wahrgenommen haben wollen: “Ich weiß nicht, ob er dann im Krankenhaus gelandet wäre” begründete sie diesbezügliche Zweifel. Auch zu scharfrandigen Schnitten im Hemd des Angeklagten, die laut Kriminaltechnik von einer Messer stammen können, wußte N nichts zu erklären. Ein Messer, erwiderte sie auf Nachfrage der Verteidigung, habe Dennis K. aber nicht bei sich gehabt. Bevor die Zeugin schließlich nach ihrer Eidesleistung den Zeugenstuhl verliess, beschied sie die letzte Frage der Verteidigung, ob sie Informationen zu den Schüssen auf den Bruder des Angeklagten vor der Kaltenkirchener Holstentherme habe, mit einem kategorischen “Nein!”

Das anschließende Rechtsgespräch hinter verschlossenen Türen zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidigern zur Erörterung der Rechtslage ließ einen ersten Blick in die gerichtliche Einschätzung der Lage zu. Man habe  “die Möglichkeit einer Einigung geprüft”, erklärte Richter Christian Gembris den Zuschauern im Anschluß, eine solche kam aber nicht zustande, da Staatsanwalt Bimler einer Einstellung seine notwendige Zustimmung versagte. Das Rechtsanwalt Marquort dennoch mit einem Lächeln aus dem Richterzimmer trat, zeugte jedoch bereits von einem gewissen Optimismus hinsichtlich des Verfahrensausgangs.

 

Auch zweite Zeugin blieb in Aussagen oberflächlich

Als zweite Zeugin nahm schließlich eine 21-jährige Frau auf dem Zeugenstuhl Platz, die zur Tatzeit Tresenkraft in der “Mausefalle” gewesen war. Auch sie schien bemüht, in ihren Ausssagen vage zu bleiben und zog sich bei Vorhalten ihrer weit konkreteren Aussagen bei ihrer polizeilichen Vernehmung auf fehlende Erinnerung zurück. Sie hatte sich mit Dennis K., einem ehemaligen Mitarbeiter ihres eigenen Ex-Freundes, unterhalten und ihn dann Richtung Garderobe gehen sehen bevor die tätliche Auseinandersetzung begann, bei der mehrere Personen auf Dennis K. losgegangen seien. “Drei bis vier Personen” seien an der Schlägerei beteiligt gewesen, von denen sie “zwei Brüder” vom Sehen gekannt haben will. Auch der Angeklagte sei dabei gewesen, wurde von ihr aber nicht dem Brüderpaar zugerechnet. In ihrer polizeilichen Vernehmung hatte sie noch konkret von drei Angreifern gesprochen, die einer in der Mausefalle anwesenden Gruppe von insgesamt fünf Personen angehörten, zu denen noch ein “Marko” sowie ein Türsteher aus einer Raisdorfer Diskothek gehörten. Daran vermochte sich die Zeugin nicht mehr zu erinnern.

Dennis K. habe ihr erzählt, dass er während des Abends auch in der angrenzenden “Nightlife”-Bar gewesen sei, wo er eine verbale Auseinandersetzung mit der 5-Personen-Gruppe gehabt habe und daher in “explosiver Stimmung” gewesen sei. Mit den Worten “Dann fahr doch einfach nach Hause, Dennis”  und “Bevor es eskaliert, geh doch endlich!” wollte sie ihm den Heimweg nahegelegt haben. Er sei dann auch Richtung Garderobe gegangen, wo er zunächst mit dem Arm auf dem Garderobentresen lehnte und sein halbvolles Glas austrank. Dann habe die Zeugin eine vollkommen andere Auseinandersetzung in einer Sitzecke der Diskothek wahrgenommen, bei der es eine Ohrfeige für einen der Beteiligten gegeben habe. Dies habe auch zu einem Einsatz der Tüsteher geführt, nachdem das Personal einen Alarmknopf betätigt hatte. Die Zeugin habe sich schließlich einer Daikiri-Maschine im Tresenbereich zugewandt, die sie saubermachte. Von Lärm aufgeschreckt habe sie erneut in den Garderobenbereich geschaut, wo sich nunmehr Dennis K., der Angeklagte und weiteren Personen in einer tätlichen Auseinandersetzung befanden und Schläge und Fußtritte ausgetauscht wurden. Wer konkret wem Schläge und Tritte versetzte, wisse sie aber nicht mehr, erklärte die Zeugin. Auf Vorhalt ihrer Aussage bei der Polizei, alle drei Angreifer hätten auf Dennis K. gleichermaßen eingeschlagen, so dass dieser die Hände schützend über den Kopf hob, erwiderte die junge Frau, sich weder daran erinnern zu können, noch das so ausgesagt zu haben. Auch könne sie nicht sagen, ob der Angeklagte das Opfer geschlagen und getreten habe.

Mit Erstaunen nahm der Vorsitzende Richter Christian Gembris die zunehmende Ambivalenz der zeugenschaftlichen Erinnerung zur Kenntnis: “Ich wundere mich, dass sie einige Sachen konkret und im Detail erinnern, andere dagegen nicht!” Auch der Staatsanwalt wurde zunehmend ungehalten: “Ich halte ihre Aussagen für nicht glaubhaft, das sage ich ganz offen!” konfrontierte er die Zeugin, “Ihre Erinnerungslücken nehme ich ihnen nicht ab, das wird Konsequenzen haben! Versuchen Sie nicht, uns für dumm zu verkaufen!” Genützt hatte die Standpauke nichts, jede anschließende Frage, jeder Vorhalt wurde durch die Zeugin mit fehlender Erinnerung oder Nichtwissen beschieden. Auch den Verteidigern bot die Frau im Anschluß keine erhellenden Antworten. Von Seiten der “Hells Angels” sei sie zudem nicht angesprochen worden.

Staatsanwalt Bimler beantragte daraufhin die Verlesung weiter Teile der polizeilichen Vernehmung der Zeugin zur Stützung ihres Gedächtnisses, dem das Schöffengericht stattgab. Dort hatte sie zu Protokoll gegeben, aus den Augenwinkeln gesehen zu haben, wie Dennis K. an der Gaderobe seinen Mantel in Enpfang nahm, während er ein halbvolles Glas Wodka-Apfel austrank. Sie sei dann auf eine Auseinandersetzung in einer Sitzecke der Disko aufmerksam geworden, habe sich dorthin begeben und die Sache mit ihren Kollegen schnell bereinigen können. Zurück am Tresen habe sie sich kurz mit einer Kollegin besprochen und sich dann wieder zu ihrer Arbeit am Tresen umgedreht. Sie habe “recht gut beobachten können, was an der Gaderobe passiert” sei, da eine Lampe den Bereich gut ausleuchtete. Drei Personen seien auf Dennis K “losgegangen” und hätten auf ihn eingeschlagen. Dabei seien zwei nebenstehende Tonnen mit großem Lärm umgefallen. Das Geschehen habe sich Richtung Ausgang verlagert. Sie habe nicht gesehen, dass Dennis K. vorher zugeschlagen habe, nur wahrgenommen, dass drei Männer über diesen “herfielen”. Es sei “definitiv” so gewesen, dass jeder der Angreifer gleichermaßen und mit dem gleichen Tatbeitrag auf das Opfer eingeschlagen habe, so dass sich dieser “abgeduckt und schützend die Hände über den Kopf gehalten habe. Ein Messer habe sie nicht gesehen.
Auf erneute Frage, ob dies ihrer Erinnerung entspreche, antwortete die Zeugin, sie erinnere sich nicht, “das so gesagt zu haben”. Dass sie ein Protokoll habe unterschreiben müssen, wußte sie jedoch. Das begleitende Kopfschütteln des Staatsanwaltes kommentierte Rechtsanwalt Marquort mit dem Hinweis auf die zuvor erörterte Verfahrenseinstellung: “Sie hätten das alles beenden können, aber wollten nicht!”

 

Für dumm verkauft

Auch der nächste Zeuge provozierte weiteres Unverständnis bei den Prozessbeteiligten. Der 20-jährige Zeitsoldat war zum Tatzeitpunkt 2007 als Abräumkraft in der Mausefalle beschäftigt und schien kaum zu verhehlen, dass er kein Wort zuviel sagen wolle. Er habe nur eine “Menschentraube” und das spätere Resultat der von ihm nicht wahrgenommenen Auseinandersetzung, eine Blutlache am Boden, gesehen. An seine Aussage bei der Polizei, die Traube habe sich um Dennis K. herum gebildet,wollte er sich ebensowenig erinnern, wie an die Situation selbst, nur um im Anschluß den Vorhalt zu bestätigen, es habe “Geschrei und Gepöbel” gegeben, bei der auch Gegenstände wie Gläser und Aschenbecher geworfen worden seien. Das diese auf Dennis K. gezielt worden waren, wie er der Polizei erklärt hatte, vermochte der Zeuge aber wiederum nicht in seinem Gedächtnis vorzufinden. Das er immer nur einen Teil der Vorhalte bestätigte, den anderen entscheidenderen Teil aber kategorisch mit Nichtwissen bestritt, setzte sich zum Ärger des Staatsanwaltes fort, der wiederholt die rhetorische Frage erhob, ob der Zeuge die Anwesenden “für dumm verkaufen” wolle. Auf die Frage, ob sich Dennis K. irgendwann bewaffnet habe, antwortete der junge Mann zunächst mit “Nein!”, nur um auf Vorhalt seines Vernehmungprotokolls, er habe den angesprochenen gesehen, wie dieser eine Bierflasche genommen und an einer Mauer kaputtgeschlagen habe “Ja, es war so!” zu erklären.

 

Letzter Zeuge mit origineller Entschuldigung für Erinnungslücken

Der letzte Zeuge des Verhandlungstages, ein 32-jähriger Mitarbeiter der neben der “Mausefalle” ansässigen Bowlingbahn, zeigte sich schließlich ähnlich verschlossen. Noch bevor ihm die erste Frage gestellt wurde, erklärte der Zeuge “kaum etwas bis gar nichts” zur Sache sagen zu können, da er “im Moment so viel andere Sachen im Kopf” habe. Dass es sich dabei um seine schwangere Frau handelte, die in jedem Moment ihre Niederkunft erwartete, gab der Zeuge allerdings erst nach Abschluss seiner Anhörung preis.

Der Mechaniker war fast jede Nacht nach Dienstschluss mit Arbeitskollegen “rüber in die Mausefalle” gegangen und hatte am fraglichen Abend zunächst eine Runde durch die Lokalität gemacht, bevor er sich zu den Türstehern gesellt habe, um sich mit ihnen zu unterhalten. Er habe Dennis K. im Laufe der Nacht gesehen, kannte ihn von früheren Besuchen, aber nicht vom Namen her.

Irgendwann sei es im Kassenbereich zu einer Rangelei von drei, vier oder fünf Leute gekommen, die sich geschlagen hätten. Darunter sei auch Dennis K. gewesen. Ob es vorher eine verbale Auseinandersetzung gegeben hatte, vermochte der Zeuge ebensowenig zu sagen, wie und wohin geschlagen worden sei. Auch dies wurde von den Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, angesichts der Tatsache, dass der Zeuge bei der Polizei ausgesagt hatte, zu Beginn der Schlägerei von seinem Hocker aufgestanden und über die Absperrseile im Eingangsbereich gesprungen zu sein, “weil es mir zu heiss wurde”.

Ob er nicht vor der Schlägerei schon eine tätliche Auseinandersetzung wahrgenommen habe, wurde der Zeuge nach einem entsprechenden Vorhalt gefragt, antwortete aber, sich nicht erinnern zu können. Gegenüber der Polizei hatte er noch ausgesagt, eine Person in weissem T-Shirt sei blutend aus der “Mausefalle” getreten und habe mit der Polizei telefoniert, weil er gerade von Dennis K. geschlagen worden sei. “Kommen Sie schnell, das geht gleich weiter” soll die Person sinngemäß in den Hörer gesprochen haben.
“Die Erinnerungslücken nehme ich ihnen nicht ab, die nimmt ihnen keiner ab”, scholt der Staatsanwalt den Zeugen, der daraufhin gleichsam plötzlich zu berichten wußte: “Wenn ich das so höre, es Revue passieren lasse, ist tatsächlich einer raus aus der “Mausefalle”, dem Blut aus der Nase geflossen sei, und telefoniert habe. Nach Inaugenscheinnahme mehrerer Lichtbilder konnte der Zeuge schließlich sogar André D. identifizieren: “Müsste er gewesen sein, kommt mir bekannt vor!” Ihm wurde schließlich auch der Notruf des Mannes vorgespielt. Darin schilderte André D. den Beamten der Einsatzleitstelle, “schwer verletzt” worden zu sein und man “ganz schnell die Polizei hierher” schicken solle.

Auch den folgenden weiteren Vorhalt zum Gang der Schlägerei beantwortete der Zeuge mit fehlender Erinnerung. In seiner Vernehmung war dazu noch protokolliert worden, dass er Dennis K. mit einer weiteren Person zur Garderobe habe gehen sehen, wo es zu einer verbalen Auseindersetzung mit jemandem gekommen sei. Einer der beiden beteiligten Brüder habe geschrien, dass es “um eine alte Sache gehe” Die beiden seien aus seinem Blickfeld verschwunden, wohl um auf Dennis K zuzugehen. Es habe eine erneute verbale Auseinandersetzung gegeben, bei der Gläser und Flaschen zu Bruch gegangen seien. Das Geschehen habe sich dann zurück verlagert, so dass er Dennis K. und Ralf D. einander schlagen gesehen habe.  Auf Nachfrage der Verteidigung zum letzten Punkt des Vorhalts bestätigte der Zeuge allerdings seine Wahrnehmung wie zwei weitere Aussagen anderer Zeuginnen, die von einer 1-zu-1-Situation gesprochen hatten. Ebenfalls bestätigte er Vorhalte bezüglich der Flucht der Angreifer, die zum Teil auf dem Video einer Überwachungskamera festgehalten worden war, aber bislang nicht in das Verfahren eingeführt wurde. Der Angeklagte habe seinen Bruder aus der Mausefalle hinaus hinter sich her gezogen, Dennis K. sei mit einem Abstand von drei bis vier Metern gefolgt und habe den Flüchtenden hinterhergeschrien. Die weitere fruchtlose Befragung wurde schließlich beendnet.

Nach einem weiteren Rechtsgespräch der Verfahrensbeteiligten ging die Verhandlung schließlich zuende. Staatsanwalt Bimler hatte sich dabei erneut einer Einstellung des Verfahrens entgegengestellt.

Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt.

 

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