Kirschsaft-Alibi für angeklagten “Bandido” Peter B.?
Dieser Artikel wurde von kiel211.de geschrieben und ist dort entsprechend veröffentlicht. Der Abdruck erfolgt hier mit entsprechender Genehmigung.
Bezahlte der Hauptangeklagte Peter B. kurz vor der mutmaßlichen Tatzeit an der Kasse eines Lebensmittelmarktes seinen Einkauf und hatte damit ein Alibi? Mit dieser Frage befasste sich am am Donnerstag den 11. November 2010 das Landgericht Kiel in der Beweisaufnahme im Prozess um die Messerstiche auf zwei Mitglieder des “Red Devils MC North End” aus Alveslohe und den anschließenden mutmaßlichen “Kuttenraub” im Schnellrestaurant „Subway“ am Großflecken der Stadt Neumünster. Drei Mitglieder des mittlerweile verbotenen “Bandidos MC Probationary Chapters Neumünster” und der Präsident des Unterstützerclubs “Contras Neumünster” stehen wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und schweren Raubes vor Gericht. Sie sollen zusammen mit weiteren, gesondert verfolgten Personen an dem Überfall am Abend des 13. Januar 2010 beteiligt gewesen sein.
Prominentester Angeklagter vor der 10. Großen Strafkammer ist der 37-jährige, ehemalige NPD-Funktionär Peter B., an dem die Strafverfolgungsbehörden nach Meinung der Verteidigung ein übersteigertes Verurteilungsinteresse hegen sollen. Die Anwälte sahen sich in dieser Aufassung noch bestärkt, nachdem gegen Ende des fünften Verhandlungstages bekannt wurde, dass einer von zwei mit den Ermittlungen befassten Hauptsachbearbeitern des Landeskriminalamtes in der Vergangenheit Geschädigter einer Beleidigung war, für die Peter B. angeklagt und verurteilt worden ist. Der Kriminalbeamte ist für einen späteren Zeitpunkt der Hauptverhandlung als Sachverständiger geladen, um zu Auswertungen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen auszusagen. Der Kieler Strafverteidiger des Angeklagten Ralf D., Philipp Marquort sprach gegenüber Kiel211.de diesbezüglich zurückhaltend von einer “interessanten Wendung”.
[Eine Übersicht aller bisher dokumentierten Verhandlungstage unter http://Kiel211.de/Bandidos ]
Gibt Videoüberwachung einer Supermarkt-Filiale dem Hauptangeklagten Peter B. ein Alibi?
Ob Kirschsaft Peter B. ein mögliches Alibi verschaffen könnte, war am Vormittag Gegenstand der Beweisaufnahme. Der Angeklagte hatte am Tatabend des 13. Januars 2010 in einer Supermarkt-Filiale in Neumünster-Gadeland eingekauft und war dabei von mehreren Überwachungskameras gefilmt worden. Allein die genaue Zeit seines Einkaufes hatte bei den Ermittlungen nicht eindeutig ermittelt werden können. Während sich die Tatzeit des gewaltsamen Überfalls im “Subway” anhand der aufgezeichneten Notrufe auf 19.41 Uhr habe taxieren lassen, gaben der Kassenbon des Einkaufs und der Timecode des Überwachungsvideos zwei verschiedene Zeiten mit einer 52-minütigen Differenz an, ohne das eindeutig nachvollzogen werden konnte, welche Zeit die korrekte war. Der Kassenbeleg hatte 19.34 Uhr ausgewiesen, das Überwachungsvideo 20.26 Uhr. Mit einer polizeilich ermittelten Fahrtdauer zum Tatort von mindestens zehn Minuten allein bei guten Straßenbedingungen, die laut dem Verteidiger des Peter B., Christian Bangert an dem Januarabend eben nicht herrschten, könnte dieser somit entweder allenfalls zum Ende der Tatausführung vor Ort gewesen, oder aber nach einer mutmaßlichen Tatbeteiligung dort eingekauft haben. Eine zufriedenstellende, weil eindeutige Klärung konnte jedoch nicht erreicht werden.
Ein 23-jähriger, damaliger Abteilungsleiter und eine 55-jährige Kassiererin waren als Zeugen geladen worden, um Licht in das entsprechende Dunkel zu bringen.
Der Einzelhandelskaufmann hatte Tage nach der Tat zusammen mit der Kriminalpolizei die Überwachungsvideos des Tatabends überprüft. Die Beamten hätten ihm erklärt, nach einer bestimmten Person zu suchen, die sie auf dem Videomaterial auch gefunden hätten. Der Weg des ihm unbekannten Mannes sei bis zur Kasse nachvollzogen worden, wo dieser mehrere Tetra-Packs mit Säften und eine Mineralwasserflasche auf das Band gelegt habe. Um die Ware mit dem Kassenbeleg abzugleichen, habe man sich die entsprechenden Artikel zum Vergleich aus dem Warenbestand geholt. Um die Zeitdarstellung im Kassensystem und die Zeitcodierung auf den Überwachungsvideos zu überprüfen, habe er durch die Kassiererin einen Abmeldebeleg aus der entsprechenden Kasse ziehen lassen, um die aufgedruckte Zeit abzugleichen. Ein Kriminalbeamter habe schon dabei anhand seiner eigenen Uhr eine Abweichung der Kassenzeit von acht Minuten vor seiner Zeit festgestellt. Auf Nachfrage der Verteidigung, ob der Beamte erklärt habe, dass seine Uhr eine Funkuhr sei oder warum er sonst nicht z.B. die Zeitansage herangezogen habe, erwiderte der Zeuge, dies habe der Beamte nicht getan. Dass die Zeit der Videoüberwachung (20.26 Uhr) die richtige sei, schloss der Zeuge allerdings aus: Man habe zu dem Zeitpunkt nur bis 20.00 Uhr geöffnet, und in der Regel keine Kunden mehr nach 20.15 Uhr an der Kasse.
Auch die als Zeugin geladene langjährige Kassiererin der Filiale erklärte, sich das Überwachungsvideo angeschaut zu haben. Erinnern vermochte sie sich an den darauf zu sehenden Mann aber nicht. Bei täglich 300 bis 500 Menschen denen sie während ihrer Arbeit begegne, sei das einfach nicht möglich. Zweifeln an der auf den Kassenbelegen festgehaltenen Uhrzeit trat sie aber entschieden entgegen: “Der Bon ist immer richtig!” Eine Abweichung der Kassenzeit von der realen Zeit betrage in der Regel nur “ein paar Sekunden, vielleicht maximal eine Minute”. Auch sie hielt es für nicht vorstellbar, dass die Zeit von 20.26 Uhr den Tatsachen entsprechen könne. Zwar zwinge man die Kunden nicht aus dem Laden, fordere sie aber spätestens 10 bis 15 Minuten nach Ladenschluß freundlich auf, sich zu den Kassen zu begeben.
Hartes Ringen um Aussage eines mutmaßlichen Belastungszeugen aus den eigenen Reihen
Mit Spannung war der Auftritt des nächsten Zeugen erwartet worden. Es handelte sich dabei um einen 50-jährigen mutmaßlichen “Bandidos”-Anwärter, der anläßlich einer Festnahme wegen des Verdachts einer anderen Straftat, gegenüber zwei Beamten des Landeskriminalamtes belastende Aussagen gegen zwei der Angeklagten getätigt hatte.
Der Trockenmaurer Thorsten S. war am Abend des 6. April 2010 festgenommen worden, nachdem er einem 31-jährigen Mann in Rendsburg nach einem mutmaßlichen Streit um Geld durch einen Messerstich in den Unterleib lebensgefährliche Verletzungen zugefügt hatte. Die “SOKO Rocker” des LKA hatte die Ermittlungen an sich gezogen, obwohl ein Zusammenhang zu den Auseinandersetzungen der rivalisierenden Rockerclubs im Land nicht herzustellen war. Sie ging davon aus, dass der damals 49-jährige zusammen mit einem 20-jährigen Mann an der Haustür des Opfers lautstark geklopft hatte, um dem laut schimpfenden, vor die Tür tretenden Mann das Messer unvermittelt in den Unterleib zu stoßen. Die beiden Tatverdächtigen wurden mangels Haftgründen wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen den Trockenmaurer ist mittlerweile Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung bei der 7. Großen Strafkammer erhoben worden.
Laut Akten soll Thorsten S. bei der Vernehmung durch die Beamten des LKA ausgesagt haben, er habe gehört, dass die Angeklagten Nils H. und Ralf D. als erste am Tatort des “Subways”-Überfalls gewesen seien. Die Verteidiger der beiden so belasteten Angeklagten, Dr. Volker Berthold und Philipp Marquort, hegen schwere Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage. Marquort erklärte im Vorwege des Prozesses gegenüber Kiel211.de, die Aussage sei zustande gekommen, nachdem er bereits zwei bis drei Stunden lang durch die Rendsburger Kriminalpolizei intensiv vernommen worden war. Erst danach habe er unter dem Druck der Ermittler des LKA das ausgesagt, was diese auf die Frage, was er zu dem “Subway”-Überfall gehört habe, hätten hören wollen. Möglicherweise habe er im Gegenzug dafür auf freiem Fuß bleiben dürfen, deutete Marquort an. Weiterverfolgt worden sei diese Aussage nicht.
So kam es nicht überraschend, dass die Verteidigung alles strafprozessrechtlich mögliche versuchte, die Aussage des Zeugen vor Gericht zu verhindern. Es entbrannte eine heftige Auseinandersetzung über die Rechtsfrage der Reichweite eines Auskunftsverweigerungsrechts, dass dem Zeugen zustehe.
Verteidiger Philipp Marquort forderte die Kammer unter Vorsitz von Hege Ingwersen-Stück zunächst auf, den Zeugen darüber zu belehren, dass ihm nach §55 StPO ein Auskunftsverweigerungsrecht auf solche Fragen zustehe, die ihn der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen würden, welches angesichts der Sachlage zu einem vollumfänglichen Aussageverweigerungsrecht erstarke, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass er sogar selbst an dem Überfall in Neumünster beteiligt gewesen sei. Alle anderen Verteidiger schlossen sich dem an.
Oberstaatsanwalt Alexander Ostrowski entgegnete, die Ermittlungen des LKA hätten keinerlei Tatverdacht gegen den Zeugen bezogen auf den “Subway”-Überfall ergeben, einen Zusammenhang zu dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren bestehe nicht.
Ähnlich sah dies auch die Vorsitzende Richterin Hege Ingwersen-Stück. Sie erklärte, keinen Anlaß zu haben, dem Zeugen ein allumfassendes Aussageverweigerungsrecht zugestehen zu müssen und belehrte diesen schließlich nach §55 StPO in der Form, dass er nur auf einzelne Fragen eine Auskunft verweigern dürfe, ansonsten aber unter Wahrheitspflicht vollständige Angaben machen müsse.
Der Verteidiger des Angeklagten Thomas K., Mario Taebel, beanstandete die Belehrung daraufhin vehement: “Ich glaube nicht, dass ihm das bewußt geworden ist!”
Die Kammervorsitzende wies das zurück. Die Ermittlungen wegen des Verdachts einer Tatbeteiligung des Zeugen seien nach §170 Abs.2 StPO vorläufig eingestellt worden. “Soweit er sich zu Dingen äußert, die er nicht schon geäußert hatte, bestehe keine Gefahr einer Selbstbelastung darüber hinaus.
Philipp Marquort bestand auch weiterhin auf einer Belehrung hinsichtlich eines vollumfänglichen Aussageverweigerungsrechts. “Ich verstehe die Belehrung der Vorsitzenden dahingehend, dass der Zeuge S. lediglich auf einzelne Fragen das Recht hat, die Aussage zu verweigern. Ich bin der Auffassung, dass sich das Aussageverweigerungsrecht zu einem vollumfänglichen Verweigerungsrecht ausgeweitet hat! Das Ermittlungsverfahren in dieser Sache ist auch gegen S. geführt und nach §170 Abs.2 StPO eingestellt worden. Es besteht derzeit jedoch die Möglichkeit, dass Ermittlungsverfahren gegen ihn wiederaufzunehmen. Und da bis heute nicht geklärt ist, ob er an möglichen Verdunklungshandlungen teilgenommen hat, braucht er aus meiner Sicht keine einzige Frage zu beantworten! Es fehlen immer noch zwei Kutten!”
Dr. Volker Berthold, Verteidiger des Angeklagten Nils H., schloß sich den Ausführungen des Kollegen an und fügte in Richtung des Zeugen hinzu: “Wenn sie aussagen, was sie ausgesagt haben, besteht sicherlich keine Gefahr, sich weiter zu belasten! Sollte die Aussage aber falsch gewesen sein, besteht die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung!”
Die Kammervorsitzende unterbrach die Hauptverhandlung schließlich, um sich mit den anderen Kammermitgliedern zur Beratung zurückzuziehen. Nach erneutem Aufruf der Verhandlung verkündete die Vorsitzende Richterin schließlich den Gerichtsbeschluss, mit dem die Kammer ihre Anordnung bestätigte, die Belehrung dahingehend zu formulieren, dass dem Zeuge kein generelles Aussageverweigerungsrecht zustehe. Es sei hinsichtlich des Vorfalls vom 13. Januar 2010 keine Gefahr zu Lasten des Zeugen erkennbar, sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst zu belasten.
Philipp Marquort beantragte daraufhin eine längere Unterbrechung, um eine Gegenvorstellung formulieren zu können, die er später im Namen des Angeklagten Ralf D. auch erhob. Das Auskunftsverweigerungsrecht bestehe allgemein und unabhängig davon, ob der Zeuge bereits belastende Angaben gemacht habe und werde zum vollumfänglichen Aussageverweigerungsrecht, soweit die gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass angesichts der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibe, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat wahrheitsgemäß aussagen könne. Die Verfolgungsgefahr bestehe, wenn eine Ermittlungsbehörde aus einer wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen Tatsachen entnehmen könne, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach §152 StPO oder zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts veranlassen würde. Die Schwelle für einen solchen Anfangsverdacht nach §152 StPO liege sehr niedrig und sei für den Zeugen bereits bejaht worden. “Da das Ermittlungsverfahren nur nach §170 Abs.2 StPO eingestellt wurde, besteht ein Anfangsverdacht hinsichtlich einer möglichen Verdunklungstat weiterhin! Schließlich war das Handy des Zeugen zur Tatzeit im Tatortfunkmast eingeloggt!” Darüber hinaus bestehe der Verdacht der falschen Verdächtigung seines Mandanten. Es sei davon auszugehen, dass dem Zeugen ein Angebot zur Verschonung von Untersuchungshaft unterbreitet worden sei, wenn er die Täter des “Subways”-Überfalls benennen könne. Da ihm ansonsten der Polizeigewahrsam drohte habe er möglicherweise einfach irgendwelche Namen genannt!
Dr. Volker Berthold schloss sich dem an. Die Kammer verkenne, dass es sehr wohl Ermittlungen gegen den Zeugen gegeben habe. “Es gab also Verdachtsmomente und die bestehen auch weiter! Es ist nicht eingestellt worden, weil die Verdachtsmomente nicht bestünden!”
Der Prozess wird fortgesetzt. Ein erst am letzten Verhandlungstag als möglicher Zeuge bekannt gewordener ehemaliger Koch der über dem “Subway” liegenden Bar war nach Angaben der Kammervorsitzenden mittlerweile namentlich ermittelt worden und ist für die folgende Verhandlungswoche geladen.