Skurrile Hauptverhandlung
Ich war gerade am Amtsgericht Goslar unterwegs. Einer meiner ständigen Mandanten war verdächtigt einen Wohnungseinbruchdiebstahl begangen zu haben und war in Untersuchungshaft gekommen. Der Vorwurf lautete: Er sei zusammen mit seiner Freundin in 3 Wohnhäuser eingebrochen und hätte dort diverse Wertsachen und ein bisschen Bargeld gestohlen.
Morgens im Gerichtsflur wurde ich von einem Herren angesprochen. Ich kam quasi mit ihm ins Gericht rein. Es sollte sich herausstellen, dass es sich dabei um den Richter handeln sollte.
„Ich habe die Akten noch nicht gelesen.“
waren seine ersten Worte. Er sei gestern Nacht aus dem Urlaub wiedergekommen. Aber er kenne die Sache ja noch als Haftrichter. Es führte mich dann rum, zeigte mir sein Zimmer und den Sitzungsaal.
Ich war eigentlich eine dreiviertel Stunde vorher gekommen, da ich mit dem Verteidiger der Mitangeklagten die gemeinsame Verteidigungsstrategie besprechen wollte. Bis zum Erscheinen des Mitverteidigers spannte mich der Richter in ein Gespräch ein. Er erzählte mir von seinem Sohn, der ja auch Jurist sein und in einer Kieler Firma arbeiten würde. Er selber müsse ja bald auch in Pension gehen. Er würde sich dann aber ja als Rechtsanwalt selbständig machen. Strafverteidiger. Das mache man ja so. Und da hätte er ja lange Erfahrung. Im Strafrecht. Man werde das heute schon hinbekommen. Er verhandle solche Sachen eigentlich in 20 Minuten. Man würde ihn hier schon Schnellrichter nennen.
Endlich kam der Kollege und der Richter zog sich zurück. Kam aber gleich wieder. Der erste Zeuge sei krank. Liege noch im Krankenhaus. Ob man den brauche.
Die Hauptverhandlung war denn genauso sprunghaft wie das Gespräch.
Er erklärte den Zeugen worum es ging: Der eine Angeklagte hätte ja ein Geständnis abgelegt. Die Mitangeklagte nicht. Sei aber von dem Angeklagten entlastet worden. Ob die Zeugen denn gesehen hätten, wer eingebrochen sei? Nein? Ja. Dann wird das ja schwer.
„Was gestohlen wurde? Darauf kommt es nicht an.“
So der Richter. Es komme vielmehr darauf an, dass der Täter oder die Täter im Haus gewesen sein. Dieses Stichwort griff die erste Zeugin auch gleich dankbar auf. War dann aber doch froh, dass der oder die Täter die Wohnung zumindest nicht verwüstet hatten. Ausgenommen war die eine Scheibe welche eingeschlagen wurde.
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„Ob Geld gestohlen wurde?“
„Nein, wir haben kein Geld zu Hause rumliegen“, so ein anderer Zeuge. Aber eine umfangreiche Schmucksammlung wurde bei ihm entwendet. Komischerweise fehlte auch hier ein Teil der Beute, obwohl der Mandant ein paar Stunden später festgenommen wurde.
Beim dritten Geschädigten, der noch im Krankenhaus weilte, fiel mir auf, dass die umfangreiche Sammlung von Fotoapparaten je Apparat doch um mehr als 1.000,00 – 2.000,00 € je Kamera nach oben im Wert abwich. Ob wir den Zeugen jetzt noch bräuchten? Es kommt doch nicht darauf an, was fehlt.
Einige Zeugen wurden nach einem mir nicht verständlichen System entlassen. Andere mussten hinten Platz nehmen. „Natürlich können Sie sich auch hinten reinsetzen“ sagte der Richter zu den entlassenden Zeugen.
Diskussion mit Zeugen
Während der Hauptverhandlung wurde mit dem einen Zeugen, dem ermittelnden Polizeibeamten, diskutiert, welcher Beamte denn bei der Durchsuchung und Festnahme dabei war. Ah. Der Kollege soundso. Ob der Zeuge ihn mal anrufen könne. Den könnten wir als Zeugen brauchen, wurde eine Zeugenvernehmung mal eben unterbrochen. Während der Hauptverhandlung durfte dann der Polizeibeamte seinen Kollegen heran telefonieren. Die Zeugen wurden währenddessen weiter vernommen.
Dann fing der Richter in einer Verhandlungspause (nein, es war nicht unterbrochen worden) an, mit den Zeugen über Einbruchschutz zu diskutieren. Dann kam endlich der erwartete Beamte, konnte aber auch nichts Erhellendes zum Sachverhalt beitragen.
Dann wurde die Beweisaufnahme geschlossen.
Schlussvorträge
Die bis dahin handzahme Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, ihrer Robe nach war sie eine sehr junge Amtsanwältin, breite sodann den Zorn Gottes über die beiden Angeklagten aus. 3 Jahre 9 Monate oder so für meinen Mandanten. Über 2 Jahre für die andere bis dahin nicht vorbestrafte Mitangeklagte. Wir waren beim Einzelrichter, wohlgemerkt.
Dann durften der Kollege und dann ich ran. Schlussvorträge. Der Kollege kam auf einen Freispruch für seine Mandantin. Ich hielt 1 Jahr und 3 Monate für tat- und schuldangemessen. Und war gerade dabei, das Diebesgut der einzelnen Taten aufzulisten, als ich bei den 250 US-$ ankam, die bei einem Bruch direkt vor der Festnahme meines Mandanten entwendet wurden. Die noch im Sitzungsaal sitzende Geschädigte fing dann an mitzuteilen, dass sie diese doch später wieder gefunden hatte. Sie hätte auch die Polizei darüber informiert. Die Unterbrechung wurde nicht gerügt. Barbara Salisch live. Die Zeugin wollte dann noch mit mir diskutieren. Ob mein Mandant nun doch einen Teil der Beute vom Bruch bis zur Festnahme (ca. 30 Minuten) dann doch schon versetzt hätte oder nicht.
Nur am Rande bemerkt. Einen Eintrag in den Akten, ob die Zeugin tatsächlich bei dem ermittelnden Beamten angerufen hatte oder nicht, hatte ich den Akten nicht entnehmen können. Einen entsprechenden Vermerk hatte ich nicht vor Augen. Und da ich am Abend zuvor die Akten noch einmal von Deckel zu Deckel gelesen hatte…. Aber ich glaubte ihr.
Auf jeden Fall war die Verhandlung dann beendet.
PS. 2 Jahre und 3 Monate kamen für meinen Mandanten raus.