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Sicherungsverwahrung für Peter B. vom Tisch, Verteidigung wittert falsches Spiel

 

Dieser Artikel wurde von kiel211.de geschrieben und ist dort entsprechend veröffentlicht. Der Abdruck erfolgt hier mit entsprechender Genehmigung.

 

Mit dem überraschenden Rückzug des für die Beurteilung der Allgemeingefährlichkeit des angeklagten Ex-Nazi-Funktionär und heutigen “Bandido” Peter B. bestellten Sachverständigen ist am Donnerstag dem 4. November 2010 der Prozess um die Messerstiche auf zwei Mitglieder des “Red Devils MC North End” aus Alveslohe und den anschließenden mutmaßlichen “Kuttenraub” im Schnellrestaurant „Subway“ am Großflecken der Stadt Neumünster vor dem Landgericht Kiel mit dem dritten Verhandlungstag  fortgesetzt worden. Drei Mitglieder des mittlerweile verbotenen “Bandidos MC Probationary Chapters Neumünster” und der Präsident des Unterstützerclubs “Contras Neumünster” sind wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und schweren Raubes angeklagt. Sie sollen an dem Überfall am Abend des 13. Januar 2010 mit weiteren, gesondert verfolgten Personen täterschaftlich beteiligt gewesen sein.

[Eine Übersicht aller bisher dokumentierten Verhandlungstage unter http://Kiel211.de/Bandidos ]

Sachverständiger nicht in der Lage aussagekräftiges Gutachten zu erstatten

Der Psychiater hatte zu Beginn seiner Ausführungen erklärt, dass er nicht in der Lage sei, ein Gutachten im eigentlichen Sinn zu der Frage zu erstatten, ob der Angeklagte Peter B. nach den Vorschriften der §§66 StGB über die Sicherungsverwahrung ein sog. Hangtäter und damit für die Allgemeinheit gefährlich sei. Da der Angeklagte einer Exploration nicht eingewilligt habe, wäre er gezwungen, auf Grundlage der Aktenlage zu einer Bewertung zu kommen. Die habe außer den zwischen 1990 und 2010 aktenkundig gewordenen Straffälligkeiten u.a. im Bereich der Beleidigungsdelikte, des Land- und Hausfriedensbruchs und der Waffendelikte nur wenig zur privaten Entwicklung des Mannes aufgezeigt. Wie aus dem zunächst offenbar behütet aufgewachsenen Adoptivkind ein Mensch geworden sei, der einige mutmaßliche Beziehungsstörungen entwickelt habe, sei daraus nicht zu erfahren gewesen. “Es fehlen weitere Erkenntnisquellen, so dass keine Begutachtung im eigentlichen Sinne, psychologische Testung, Diagnostik möglich ist! Ich muss klar machen, dass ich meinen Auftrag so nicht werde erfüllen können!”
Oberstaatsanwalt Alexander Ostrowski fragte den Gutachter daraufhin, welche Erkenntnisquellen es denn überhaupt gäbe: “Kann nur Peter B. ihnen helfen?” Der Arzt bestätigte das: Es seien Gespräche mit diesem notwendig, um ihn gut genug kennenzulernen: “Eine Untersuchung ist durch Gespräche mit Freunden und Bekannten nicht zu ersetzen!” Der Sachverständige wurde daraufhin mit Dank aus seinem Dienst entlassen. Die Verteidigung zeigte sich zufrieden: Damit sei die Sicherungsverwahrung faktisch vom Tisch.

Verteidiger beantragt Aussetzung der Hauptverhandlung

Zuvor hatte der Verteidiger des Angeklagten Ralf D., Philipp Marquort, beantragt, die Hauptverhandlung nach §246 Abs.2 StPO auszusetzen. Nach dem letzten Verhandlungstag am Dienstag seien ihm mehr als 100 Seiten neues Aktenmaterial zugestellt worden, darunter Vermerke des Landeskriminalamtes, die als wichtige neue Beweismittel anzusehen seien. Um seinen Pflichten als Verteidiger nachkommen zu können, benötige er Zeit, um in diese neuen Aktenbestandteile Einsicht nehmen zu können. Damit sei zudem erwiesen, dass die Verfahrensakten tatsächlich unvollständig sind. Die Kammervorsitzende ordnete die vorläufige Fortsetzung der Hauptverhandlung bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Antrag an.

Gäste der Bar berichten über Zusammentreffen zweier “Bandidos” mit dem Anwalt Christian B.

Ohne das Sachverständigengutachten wurde der Prozess schließlich früher als geplant mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgeführt, die sich zur Tatzeit in der Raucherlounge der über dem Subway befindlichen Bar aufgehalten hatten. Sie sollten zu ihren Wahrnehmungen, insbesondere über die beiden mit dem Rechtsanwalt Christian B. an einem Tisch in der Nähe sitzenden “Bandidos”-Mitglieder Maik K. und Ivo H. aussagen. Die beiden Letztgenannten nahmen zum Ende des Verhandlungstages ebenfalls auf dem Zeugenstuhl Platz. Ob und wenn ja was die drei Männer mit dem Tatgeschehen im Erdgeschoss zu tun haben könnten, blieb dabei weiterhin unklar.

Drei befreundete junge Männer hatten zusammen in der Raucherlounge der Bar gesessen, als ungefähr 10 bis 30 Minuten später die drei älteren Männer den abgetrennten Bereich betreten, etwas bestellt, getrunken und sich miteinander unterhalten hätten. Dann habe man Martinshorn gehört und aus dem Fenster Polizeiwagen vor dem Gebäude parken sehen. Es seien Polizeibeamte erschienen, die die drei Personen schließlich mitnahmen. Weder habe man von dem, was unten im “Subway” passiert war, etwas mitbekommen, noch habe sich sonst etwas aufälliges zugetragen. In der Bar habe Musik gespielt und ein gewisser Geräuschpegel geherrscht. Man selbst sei schließlich durch den Hinterausgang aus dem Lokal gebracht worden. Auf Nachfrage vermochte sich keiner an einen Mammographie-LKW erinnern, der auf dem Platz vor dem “Subway” gestanden haben soll.

Neben den drei Freunden hatte auch ein Pärchen in der Raucherlounge der Bar gesessen. Die Atmosphäre sei in Ordnung gewesen, es habe keinerlei Stress gegeben. Es seien viele Gäste in der Bar gewesen, Musik sei gelaufen, so dass es ziemlich laut gewesen sei. Schreie oder ähnliches habe man nicht gehört. Das Blaulicht der Polizeifahrzeuge habe man wahrgenommen. Mehrere Polizeibeamte seien hereingestürmt, um jemanden zu suchen und hätten die drei Männer an einem Nebentisch gestellt, sie aufgefordert, die Hände zu erheben, dann durchsucht und vernommen. Einer habe vorher kurz telefoniert, einer der drei sei durch einen Patch als “Bandidos”-Mitglied zu erkennen gewesen.

Verteidiger wittern falsches Spiel, Vorenthaltung von Akten

Bevor die beiden letzten Zeugen, Maik K. und Ivo H. auf dem Zeugenstuhl Platz nahmen, nutzte die Verteidigung die Gelegenheit mehrere Punkte gegenüber der 10. großen Strafkammer anzusprechen, die das Mißtrauen der Anwälte erregten.

Der Verteidger des Angeklagten Nils H., Dr. Volker Berthold, rügte bei dieser Gelegenheit, dass in der Hauptakte Fax-Ausdrucke zu finden seien, auf denen offensichtliche Originalunterschriften zu finden seien. Es handele sich aber eben nicht um Originale, sondern um Faxe. Der Widerspruch müsse aufgeklärt werden. Sein Kollege Philipp Marquort, Anwalt des Angeklagten Ralf D., fügte hinzu, die betreffenden Faxe würden erst mit Seite 4 beginnen: “Ich frage mich natürlich, wo die Seiten 1 bis 3 sind und rüge die Unvollständigkeit der Akte! Ich habe den Eindruck, dass seitens des LKA bzw. der Staatsanwaltschaft der Verteidigung  bewußt Material vorenthalten wird!”

Marquort rügte auch weitere Aktenunvollständigkeiten hinsichtlich der Protokolle der drei an dem Tatabend gewählten Notrufe. Es würden Seiten fehlen, obwohl fortlaufend protokolliert worden sei. Bei drei Anrufen seien lediglich zwei verschriftete Wortptotokolle vorhanden, eines fehle. Insbesondere lege das Fehlen eines Deckblattes den Verdacht nahe, dass die Identität des Anrufers verschleiert werden solle. “Ich beabsichtige einen Beweisantrag zu stellen und bitte daher um die drei Notruf-Protokolle und ich will die Audio-Dateien dazu von allen dreien! Ich weiß, dass diese Dateien gespeichert werden!”

Schließlich verlangte Marquort darüber hinaus sämtliche Protokolle und Audio-Dateien der umfangreichen Maßnahmen zur  Telekommunikationsüberwachung, die im Zuge des Ermittlungsverfahren durchgeführt und mehrfach durch gerichtliche Beschlüsse verlängert worden seien. Fast 6 Monate lang seien die Anschlüsse mehrerer Personen abgehört, aber nur 20 Seiten verschriftet worden. “Nach meiner Schätzung müssen da 6 bis 10 Leitz-Ordner mit Telekommunikationsüberwachung sein! Wo sind die?” Energisch setzte der Verteidiger fort: “Außerdem soll es angeblich keine Spurenakten gegeben haben? Das ist sehr ungewöhnlich!” Zudem würden Asservatenlisten fehlen. “Und plötzlich erfahren wir, dass 5 Ordner bei der Kammer aufschlagen!”

“Ich weiß, dass das LKA weiter ermittelt, es laufen weitere Personenobservationen! Zudem soll gegen zwei bis vier weitere Personen ermittelt worden sein, was läuft da? Ich hätte gerne Akteneinsicht in diese Verfahren! Wir stochern blind im Nebel, Faxe in den Ordnern, Seiten fehlen! Das sind Sachen, wo ich nicht nur vermute, sondern weiß, dass Ermittlungshandlungen bei LKA nicht dokumentiert sind! Es hat eine zweite Alarmierungskette gegeben, und dennoch sind dazu keine Ermittlungstätigkeiten entfaltet worden, obwohl das möglicherweise eine entlastende Spur gewesen ist. Das der aber überhaupt nicht nachgegangen wurde, kann ich mir nicht vorstellen! Wie sollen wir hier verteidigen, das kann doch nicht angehen?! Ich muss darauf drängen, binnen Wochenfrist alle Aktenbestandteile zu haben, die uns vorenthalten werden!” ereiferte sich der Anwalt.

Oberstaatsanwalt Alexander Ostrowski wies die Vorwürfe Marquorts zurück. “Momentan gebe es keine weiteren Ermittlungen”, auch gegen den Ansprechpartner der zweiten angeblichen Alarmierungskette, den Zeugen Jan T. habe es keine Ermittlungen gegeben, weil sich dieser zu dem Zeitpunkt in Lübeck aufgehalten habe. “Es werden keine Akten bewußt zurückgehalten, es ist nur verschriftet worden, was relevant war! Alles zu verschriften, ist nicht machbar!” In Richtung der Kammer erklärte Ostrowski: ”Ich frage mich, woher er das weiß!”, um sich wieder an den Verteidiger zu richten: “Herr Marquort, Sie behaupten etwas ohne Hintergrund!” Der Angesprochene blieb unbeeindruckt und bat die Kammervorsitzende darum, dass ihm sämtliche Audio-Dateien der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen zeitnah zugestellt werden.

Vernehmung der in der Raucherlounge aufgegriffenen “Bandidos”-Mitglieder

Widersprüchliche Angaben machten die beiden “Bandidos”-Mitglieder Maik K. und Ivo H. bei ihren Aussagen, was sie während ihres Aufenthaltes in der Bar wahrgenommen und gemacht hatten.

Zunächst sagte der 48-jährige Maik K. als Zeuge aus, der als Beruf “Fitnesstrainer” angab und mit einem, bis auf einen Irokesenschnitt kahlrasierten Schädel auffiel. Die Kammervorsitzende belehrte ihn über seine Wahrheitspflicht, sah auf die entsprechende Frage eines Verteidigers aber keinen Anlaß, das “Bandidos”-Mitglied auch über sein Recht zu belehren, die Auskunft auf solche Fragen verweigern zu können, deren wahrheitsgemäße Beantwortung ihn der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen könnte.

“Viel kann ich zu der Sache nicht sagen!”, erklärte der Mann demonstrativ. ”Wir haben oben gesessen, ich habe mich mit Freunden getroffen, Christian B. und Ivo H. Es fiel mir auf, dass die Polizei vor der Tür eintraf, ich habe die Bedienung gefragt, was unten los ist. Sie sagte ”Da ist jemand gegen die Tür gelaufen”, wir möchten bitte oben bleiben! Die Polizei kam hoch, fragte, ob wir irgendwas mit dem zu tun hatten! Sind dann durchsucht worden, Gegenstände wurden beschlagnahmt, unsere Handys!” Auf Nachfrage bestätigte er, die ankommende Polizei erst gehört, dann das Blaulicht gesehen zu haben: “Sie kamen aus verschiedenen Richtungen, das konnte ich von meinem Platz aus sehen, ja!” Man sei zunächst gebeten worden, noch eine Zeit oben sitzen zu bleiben, dann sei man aufgefordert worden, das Lokal zu verlassen. Durch den “Subway”-Eingang sei man dann gegen 20.30 oder 20.45 Uhr gegangen. Dort habe man von dem Vorfall “nicht mehr viel gesehen”, lediglich eine Bedienung und Polizeibeamte seien anwesend gewesen. ”Die Blutlache ist schon entfernt gewesen!”, erklärte der Zeuge. Was passiert war, habe er aber erst durch die Medien erfahren.

Auf Nachfrage des Verteidigers Phillipp Marquort, ob ihm Gegenstände abgenommen worden seien, sagte der Zeuge aus, er habe sein Handy abgeben müssen und es erst nach Monaten wiederbekommen. Er habe dafür auch keine Quittung erhalten, es sei ihm auch nicht gesagt worden wieso. Daraufhin hielt ihm der Anwalt den Vermerk des damals tätigen Polizeibeamten L vor: “Da nicht ausgeschlossen werden konnte, das Handys ausgetauscht wurden, um die Tat in Auftrag zu geben” seien diese beschlagnahmt worden. Der Zeuge erwiderte, dies habe er nicht gehört.

Im Anschluß nahm der Zeuge Ivo H. auf dem Zeugenstuhl Platz. Der 49-jährige Kaufmann erklärte aufreizend knapp, mit Maik K. und Christian B. in der Bar verabredet gewesen zu sein und dort etwas getrunken zu haben, als man Blaulicht vor dem Gebäude wahrgenommen habe. “Wir sind dann von der Polizei vom Stuhl gerissen und durchsucht worden, es hat ein Riesen-Palaver wegen eines Vorfalls unten gegeben, bei dem jemand verletzt worden sein sollte”. Erst auf Nachfragen der Kammervorsitzenden wurde der Zeuge etwas konkreter. Angesichts der Blaulichter habe man die Bedienung gefragt, was da los sei, rund 15 Minuten später seien die Polizeibeamten gekommen, um ihn und seine Begleiter zu durchsuchen. “Wir haben den Laden durch den Haupteingang verlassen, es lagen noch Verletzte rum. Wir sind obendrüber, drumrum und dann zur Polizei gefahren! B. sagte er müsse zur Polizei fahren, ich war bei ihm zu Besuch, fuhr mit ihm mit!”

Dort seien beiden die Handys abgenommen worden. “Die Polizei sagte, es wird überprüft, ob es eine Absprache gab! Die Nachfrage, ob er kurz vor dem Eintreffen der Polizeibeamten telefoniert habe, erwiderte der Zeuge mit fehlender Erinnerung. Die daran anschließende Belehrung zur Auskunftsverweigerung nach §55 StPO durch die Kammervorsitzende beantwortete der Zeuge unbeeindruckt: ”Schon klar, aber wie soll ich mich belasten?” Auch mit dem Vorhalt des Vermerks des Polizeibeamten L vermochte der Zeuge nichts anzufangen: ”Das ist mir nicht gesagt worden!” Außerdem erklärte der 49-jährige: “Ich habe mein Handy in der Nacht noch wieder bekommen, B. auch, Maik H. erst ein zwei Tage später, hat er mir erzählt! Auf die überraschte Nachfrage, ob es nicht auch länger als einen Monat gewesen sein konnte, erklärte der Zeuge: “Nein, Monate warens nicht!”

Nach Entlassung des Zeugen konnte sich Phillipp Marquort eine bissige Stellungnahme zu den Aussagen nicht verkneifen: Es sei von dem betreffenden Polizeibeamten L ein “genialer Geniestreich” gewesen, auf die Idee zu kommen, dass man Handys tauschen kann. “Die Frage ist, wieso er drauf kam und das LKA nicht!”

Der Prozess wird fortgesetzt.

 

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